Liebe Frau Gaschke,
von professorbunsen
auf der Titelseite der aktuellen Druckausgabe der Zeit beschreiben Sie den „Diebstahl von geistigem Eigentum“ als „Bedrohung für unsere Kultur“.
Eine Bedrohung für unsere Kultur sehe ich auch — wenn auch aus der genau gegenteiligen Richtung. Daher folgt nun eine etwas in die Länge geratene Entgegnung, die dafür aber auch frei von jeder Polemik sein wird.
Das Internet ist eine der wunderbarsten und großartigsten kulturellen Errungenschaften der Menschheit. Mit ihm ist -theoretisch- jedes Buch, jedes Musikstück, jede Zeitung, jeder Film, jedes Bild für jedermann verfügbar. Immer. Überall. Und für immer. All diese kulturellen Werke kann sich jeder aneignen, darüber und damit kommunizieren, sie zitieren, verändern und weiterentwickeln. So entsteht ganz wie von selbst ein vernetztes riesiges kulturelles Ganzes, das gleichzeitig Veröffentlichung, Archiv und Diskurs ist. Für alles, was es an kulturellen Werken je gab und geben wird.
Ich glaube, das ist das genaue Gegenteil von einer kulturellen Gefahr. Es ist ein unfassbarer kultureller Reichtum: Es gibt für jeden alles, immer und überall.
Nun stellt sich in dieser wunderbaren neuen Welt die Frage, wie Kulturschaffende für ihre Werke entlohnt werden sollen.
Dafür müssen wir uns wohl die Frage stellen, wer dort noch für was entlohnt werden muss.
Ich glaube nicht, das wir Bezahlung als Motivation für Kulturschaffende benötigen. Ist denn jemals irgendein Werk von Belang ausschließlich des Geldes wegen entstanden? Wohl kaum. Ein Kulturschaffender schreibt, malt oder musiziert doch in erster Linie, weil er es will. Weil er der Welt etwas zu sagen hat, weil er sich mitteilen will. In dieser Hinsicht ist das Netz für alle Künstler und Kulturschaffenden wohl eher ein Segen, weil Urheber ohne nennenswerten Aufwand aus dem Stand ein maximal großes Publikum erreichen können: die ganze Welt! Hinzu kommt, dass die Produktions- und Distributionskosten im Netz gegen Null gehen. Wozu man früher ein professionelles Produktionsstudio, ein Presswerk oder Druckereien und eine aufwändige Vertriebslogistik benötigt hat, das kann man heute schlicht am Notebook erledigen.
Trotzdem müssen Künstler ja von etwas leben: Ein Roman schreibt sich schließlich schlecht nach Feierabend und ein guter Orchestermusiker wird man nicht nur nebenbei und übers Wochenende. Eine Kultur kann nicht ausschließlich von ambitionierten Amateuren leben.
Was kann die Lösung dafür sein? Ich glaube jedenfalls nicht, dass es sinnvoll ist, bei scharfer Strafandrohung eine hohe Zwangsabgabe für jeden einzelnen Kopiervorgang im Netz durchzusetzen. Nichts anderes wäre die direkte Übertragung des alten analogen Urheberrechtes auf die neue digitale Welt. Das zerstört das eigentliche Wesen des Netzes und kriminalisiert jeden Menschen, der dessen vielfältige Möglichkeiten auf natürliche Weise nutzt. (Abgesehen davon — das hat Ihr Kollege Gero von Randow gut beschrieben — ist ja auch fraglich, ob nicht eben dieses alte Urheberrecht nicht ein Instrument zur Mehrung des Reichtums und der Macht weniger auf Kosten der kulturellen Vielfalt und Qualität ist.)
Was fehlt ist also ein tragfähiges wirtschaftliches Modell für den neuen kulturellen Reichtum des Internets. Ansatzweise ist das bereits erkennbar.
Wer im Netz wahrgenommen wird erhöht beispielsweise seine Chancen, gleichzeitig mehr seiner Werke in der gegenständlichen Welt zu verkaufen, in Form von Bildern, Drucken, Eintrittskarten, Merchandising und so weiter. Und es gibt ja durchaus Künstler, deren Werke digital frei verfübar sind, die aber dennoch Bücher und CDs verkaufen.
Abgesehen davon konkurrieren in dieser Welt alle Werke um Aufmerksamkeit. Das ist die natürliche Umgebung von Werbung, die ja nichts anderes möchte als Aufmerksamkeit. Werbung, denkt man dann ganz schnell, soll das denn eine Lösung sein? Dieses lärmende Geklingel, das kreischend unsere Aufmerksamkeit erbrüllt und stört oder heimlich verführt, ohne dass wir es wirklich wollen? Andererseits wird doch auch schon heute vieles über Werbung und Sponsoren finanziert. Und optimistisch gesehen bietet das Netz sogar die Möglichkeit, dass Werbung irgendwann mal etwas anderes sein wird als heute. Denn im Netz kann Werbung gezielt dort sein, wo die Menschen sich für sie auch interessieren. Das ist dann mehr wie in einer Fachzeitschrift, wo Werbung ja nicht selten mit dem gleichen Interesse wahrgenommen wird wie der redaktionelle Inhalt.
Eine dritte Idee ist die Einführung einer allgemeinen Kulturflatrate. Nach dem Vorbild bereits jetzt existierender Verwertungsgesellschaften (wie der GEMA oder GEZ) wird jeder Internetnutzer mit einer allgemeinen Abgabe belegt, die unter allen Kulturschaffenden anteilig aufgeteilt wird. Darin stecken natürlich eine Reihe noch ungelöster Fragen über die Verteilungsgerechtigkeit und Datenschutz, aber unmöglich erscheint mir das nicht.
Ich weiß, dass diese grob skizzierten Ideen alles andere als perfekt sind. Und natürlich wird auch das alles lange nicht jeden Künstler und Journalisten ernähren können. Aber das kann die Welt heute ja auch nicht.
Also müssen wir uns die Frage stellen, ob wir die immensen kulturellen Möglichkeiten des Netzes künstlich und bei Strafandrohung beschneiden wollen. (Was wir — auch das ist für ein Strafgesetz ja nicht ganz unwichtig, die eigene moralische Wertung hin oder her — seit der Erfindung des BitTorrent überhaupt gar nicht könnten, ohne das gesamte Internet abzuschalten.)
Oder ob wir beginnen, diese neue Welt gemeinsam zu gestalten, anstatt einen Kulturkampf der Generationen auf Kosten der Kultur auszufechten.
P.S.: Dieser Text ist im Übrigen ein kleines Beispiel für diese wunderbare neue Medienwelt. Ich schreibe ihn in meinem Blog, so dass die ganze Welt ihn für immer und überall wird lesen können. Man kann ihn verlinken, daraus kopieren, zitieren, an dieser oder anderer Stelle kopieren und wiederum verlinken. So wird kann aus einem Text ganz automatisch und gleichzeitig ein Dialog und eine ganze Diskussion werden, an der sich jeder beteiligen kann und die hinaus in die Welt getragen werden kann.
Natürlich weiß ich auch, dass Sie mein kleines Blog hier nicht zufällig lesen, deshalb habe ich Ihnen den Text auch per EMail geschickt ein allgemeines Formular auf Zeit.de ausgefüllt, das einen Link auf diesen Text hoffentlich an Sie weiterleiten wird. Wenn Sie mögen und die Zeit finden, können Sie hier darauf antworten und wir könnten hier oder anderswo gemeinsam mit anderen darüber diskutieren. Früher hätte ich Ihnen einen Leserbrief schreiben können. Heute kann gleichzeitig die ganze Welt von dieser Diskussion erfahren und an ihr teilnehmen.
Auch wenn ich weiß, dass das wohl nicht passieren wird, weil das Netz so groß ist und Sie nicht auf alles antworten können, weil schließlich überall jemand was zu sagen hat – ist es nicht großartig, dass es geht?
Lieber Professor Bunsen,
wie ich in meinem Beitrag zum Thema hier:
ausgeführt habe, vertrete ich eine andere Meinung. Es mag zwar vordergründig um Geld oder auch um viel Geld gehen – was aber daneben wichtiger ist, ist die Frage, warum durch die digitalen Möglichkeiten die Kultur bedroht sein soll.
Wie sie richtig schreiben, gibt es in der digitalen Welt alles und jedes und überall. Kein Vergleich zu früher. Das sei ein kultureller Fortschritt. Meinentwegen.
Um was es hier aber geht, ist die Frage, wie mit den Urheberrechten umgegangen wird, wie die Gesellschaft und der Staat, die internationale Staatengemeinschaft und somit alle Nutznießer sich die Zukunft der Rechte derer vorstellen, die schöpferisch tätig sind.
Denn es geht um die Kernfrage der Freiheit der Wissenschaft und der Kunst, dass derjenige, de Schöpfer eines Werkes ist, alleine und ausschließlich das Recht haben soll, darüber zu bestimmen, wie es zu verwerten ist – oder eben nicht – wie die Spielregeln und die Bedingungen aussehen, zu denen ein Werk lizenziert wird – und wie Verstöße gegen diese Spielregeln zu ahnden sind.
Wenn diese Fragen nicht zufriedenstellend geklärt werden können, wird der Freiheit der Wissenschaft und Kunst der Boden entzogen. Und damit wird auch unserer Kultur letzlich das Fundament entzogen – die Freiheit der schöpferisch Tätigen.
Lieber rhgsig,
danke für die ausführliche Entgegnung!
Dass die Freiheit der schöpferisch Tätigen vor allem darin begründet sein soll, das Recht darüber zu behalten, was mit dem eigenen Werk angestellt werden darf, mag mir nicht einleuchten.
Die Freiheit des schöpferisch Tätigen liegt doch eben genau darin, frei schöpferisch tätig sein zu können. Die wird ihm kein Urheberrechtsverletzer nehmen können. (Aber der Nutzungsrechteinhaber, zum Beispiel sein Verleger oder seine Plattenfirma. Wem in der Tat das Fundament entzogen wird, ist nicht dem Urheber, sondern dem Inhaber der Nutzungsrechte, der heute häufig nicht mit dem Urheber identisch ist.)
Und es ist ja heute auch nicht so, dass Urheber und/oder Rechteinhaber die volle Kontrolle über das Werk haben. Ein Buch, zum Beispiel: Ein Buch darf man lesen. Man darf es verleihen. Man darf es verschenken. Man darf es verkaufen. Man darf daraus zitieren. Man darf, bei Kenntlichmachung von Zitaten, Werke collagieren. Man darf aus Büchern vorlesen, unter bestimmten Bedingungen auch öffentlich. All das sind selbstverständliche Elemente des gesellschaftlichen Umgangs mit Büchern und passiert völlig ohne Einflussmöglichkeit des Urhebers. Niemand würde auf die Idee kommen, es zu verbieten oder an die Zustimmung des Urhebers zu binden.
Im Internet ist all das gleichbedeutend mit „kopieren“. Jedes Lesen, jedes Anhören, jedes Anschauen, jedes Hinweisen, jedes Zitieren, jedes Remixen ist „kopieren“ im Internet. Das kann man doch nicht alles von der Zustimmung des Urhebers abhängig machen wollen, unabhängig davon, ob jemand mit den Werken Geld verdienen will oder sie schlicht und einfach nutzt.
Urheberrechte sind ein Privileg, das nach der Erfindung des Buchdrucks eingeführt wurde. Es regelt einen ganz bestimmten Bereich der kulturellen Produktion: Die kommerzielle Nutzung einer physikalischen Kopie. Das jetzt einfach der riesigen Kopiermaschine Internet überzustülpen, wo Kopie und Original identisch sind und alles ohne Aufwand beliebig vervielfältigbar ist, scheint mir keine gute Idee.
Nachdem ich nun schon einige Tage allerlei Beiträge zu diesem und weiteren Themen lese, kristallisiert sich mir ein grundsätzliches „Schnittstellenproblem“ zwischen beiden „Interessenbereichen“, als da sind: Hier jene, die das Netz und seine neuen Verteilungslogiken, die ich selbst nie mehr missen möchte, weder als Schaffender noch als Konsument; dort die, die sich berechtigt um das gesicherte Ein- und Auskommen, und hoffentlich auch nur um dieses und nicht etwa um jackson‘- oder bohlensche Millionen, sorgen.
Ich glaube, daß ein soziokultureller Wandel, wie ihn „das Netz“ als Synonym für sich selbst, seine Nachfolger und all ihre guten Seiten mit Sicherheit garantiert irgendwann und hoffentlich noch zu meinen Lebzeiten verursachen wird, zwangsläufig auch einen materiellen Wertewandel mit sich bringt.
Ich denke da an Stichworte wie „bedingungsloses Grundeinkommen“, eine grandiose Vorstellung: Jeder kann genau das lernen und ausüben, was ihn erfüllt und anderen (im Idealfall) irgendeinen Mehrwert bringt – natürlich mit der Freiheit, daraus Mehrwert abzuleiten. Niemals zuvor wird es so leidenschaftlich gebackenes Brot, so solide gebaute Häuser und eben auch so leidenschaftlich und einzigartige, weil frei vom materiellen Sicherungszwang gestaltete Kunstwerke geben. Das klingt für jemanden, der wie ich seit bald vier Jahrzehnten nur zwischen Marx und Manchester entscheiden dürfen sollte, zwar kaum vorstellbar, für Sachverständige und selbst für Politiker, von denen man es nicht erwarten würde, scheint es jedoch unglaublicherweise finanzierbar und damit nicht unbedingt weltfremd.
Ob es genau hierzu kommt, ich wage kaum, es mir vorzustellen. Aber daß sich die derzeitigen Macht- und Güterverteilungen mit dem, was so ein „Netz“, richtig genutzt, zu leisten vermag, auf keinen Fall vertragen werden, das darf wohl eben als eine der Hauptursachen für die Diskrepanz zwischen den oben genannten Fraktionen angenommen werden. Wenigstens von mir.