Die nächste Gesellschaft und ein komplexer Regalzufall
von professorbunsen
Folgt man Dirk Baecker, erleben wir derzeit durch die Erfindung von Computer und Internet einen epochalen Umbruch der Menschheitsgeschichte, wie es ihn in den letzten paartausend Jahren überhaupt erst zweimal gegeben hat, einmal durch die Einführung der Schrift und ein zweites Mal mit der Erfindung des Buchdrucks.
Ich bin sehr geneigt, dem zuzustimmen, weil: Ja, was denn sonst?! Schrift sampelt Sprache in einem Code und kann so jedes denkbare Wort über die Zeit festhalten. Buchdruck ermöglicht es, diesen Code oft und schnell zu vervielfältigen und damit gleichzeitig an viele verschiedene Orte zu übertragen. Das digitale Netz sampelt jede Art von Information und ermöglicht es in Echtzeit, alles und jeden überall und immer zu verbinden. Dass damit eine neue Qualität in die Welt gelangt, die massive Auswirkungen hat, scheint mir augenscheinlich.
Baeckers These ist, dass die durch das Internet entstandene Hyperdynamik der Gesellschaft unzählige komplexe, sich ständig wandelnde und aufeinander bezogene Kommunikationsprozesse in Gang gesetzt hat, die so schnell und so verwoben sind, dass sie für die Menschen endgültig undurchdringbar geworden sind. Teilweise haben diese Prozesse gar keine menschliche Beteiligung mehr, zum Beispiel im Finanzmarkt, wo Investitionen und Verkäufe automatisch programmiert ablaufen und so das analytisch nicht zugängliche Kalkül der Computer als kommunikativem Mitspieler in der Gesellschaft integriert wird. Die Kommunikation der Gesellschaft beruht mehr und mehr auf lichtschnellen miteinander verwobenen Prozessen, die so dynamisch sind, dass sie eine ständige Veränderung und einen dauernden Wandel begründen. Und ein System, das im Wesen darauf angelegt ist, alles Bestehende und neu Entstehende in sich aufzunehmen, aufeinander zu beziehen und so ständig weiter zu wachsen. Der Wandel, der Umbruch und die Krise wird damit zum Normalzustand der Gesellschaft.
Wie soll man damit umgehen? Die nächste Gesellschaft ist auch programmatisch gemeint. Das Charakteristische dieser Gesellschaftsform ist es, dauernd auf das Nächste, gerade Entstehende, noch Unbestimmte bezogen zu sein. Die ständige Ungewissheit erzeugt ein dauerndes Erforschen der Gegebenheiten.
Observing Networks | Dirk Baecker auf der x mess (Via Autopoiet)
In seinem Vortrag schlägt Baecker zwei Denkfiguren vor, die für dieses Erforschen der Gegebenheiten besonders geeignet seien: Die Idee der „Form“ und die Figur des „Re-Entry“ aus der logischen Theorie von George Spencer-Brown. (Mir fällt es reichlich schwer, zu diesem Menschen, für den der Begriff „schillernde Person“ erfunden wurde, nicht mehr zu schreiben, aber ich reiße mich am Riemen. In Deutschland galt er einige Zeit als Erfindung Niklas Luhmanns. Tatsächlich hat er das Fromkalkül zusammen mit seinem Bruder erfunden, weil die britische Eisenbahn eine praktische Zählmaschine brauchte, um sicherzustellen, dass nicht einzelne Waggons im Tunnel verloren gehen. Ich würde abschweifen. Sehr weit.)
Form ist relativ schnell erklärt. Alles worüber man denken und sprechen kann basiert immer auf Unterscheidungen. Man redet über Etwas und hat damit Nicht-Etwas davon unterschieden. Ein Beobachter, der diese Unterscheidung trifft, ist in dieser Logik immer implizit enthalten. (Beobachten meint hier Unterscheiden, das kann also auch ein Computer tun.) Ohne Beobachter aber gibt es nichts (und noch nicht einmal das), weil alles erst durch die grundlegende Operation der Unterscheidung erzeugt wird. Außerdem wird in der Form nur die Innenseite der Unterscheidung bezeichnet, was das andere Nicht-Etwas ist, bleibt im Dunkeln. Unterscheidungen haben nicht automatisch ein Gegenteil. Dieses Gegenteil muss erst durch eine weitere Unterscheidung definiert werden. So entsteht durch dauernde Unterschiedsbildungen ein dynamisches Sinnsystem aufeinander bezogener Unterscheidungen, das gleichzeitig Ungewissheiten als nicht-bezeichnete Außenseite der Form mit einbezieht.
Ich verstehe es so, dass die Form hilft, zu beschreiben, wie man dynamisch Sinn erzeugt und dabei mit der Ungewissheit umgeht.
Re-Entry ist nicht schnell erklärt und wenn man zum ersten Mal darüber nachdenkt ein ziemlicher Hirnverdreher. (Auch die späteren Male noch, es sei denn, man ist so wahnsinnig wie Spencer-Brown.) Re-Entry ist eine rekursive, also selbstbezogene Operation. Die Unterscheidung wird auf die Unterscheidung angewendet. Auf einer der Seiten der ursprünglichen Unterscheidung wird dieselbe Unterscheidung noch einmal vollzogen.
Vielleicht kann man es im Kontext der Überlegungen zur nächsten Gesellschaft am Besten so fassen: Im Ergebnis wird In die Logik neben dem Beobachter auch die Zeit eingeführt, das heißt, dass logische Schlüsse in diesem Kalkül nicht objektiv und zeitlos, sondern subjektiv und zeitabhängig sind, abhängig davon, welche Unterscheidung vorangegangen ist und damit, wann sie getroffen wurden. Denn die Unterscheidungen eines Re-Entry bauen aufeinander auf sind abhängig von der jeweils vorher getroffenen Entscheidung.
Das hat theoretisch weitreichende Auswirkungen. Dadurch kann im Ergebnis etwas beispielsweise quasi gleichzeitig falsch und richtig sein, weil es darauf ankommt, auf welche Unterscheidung man sich gerade bezieht. Außerdem kann man diese Selbstbezüglichkeit als theoretische Beschreibung dafür sehen, wie Neues in die Welt kommt. Durch diesen Selbstbezug von Unterscheidungen kommt etwas Neues, Anderes in die Welt. Im anschaulichen Beispiel von Heinz von Foerster wird der Stromkreis einer Klingel geschlossen, wenn der Klöppel von der Glocke entfernt ist, wodurch ein Magnet eingeschaltet wird, so dass der Klöppel auf die Glocke schlägt. Wenn der Klöppel die Glocke berührt, wird der Stromkreis unterbrochen, der Magnet stellt ab, der Klöppel springt zurück, wodurch der Magnet eingeschaltet wird, der den Klöppel auf die Glocke schlägt und so weiter und so fort. So entsteht eine neue Qualität, die vorher nicht da war, ein Klingeln.
Ich verstehe es so, dass Re-Entry hilft. zu beschreiben, wie mit Widersprüchen umgegangen wird und wie Neues entsteht.
Ich würde sagen, dass eine Anwendung dieser Ideen zum Beispiel wäre, zu beschreiben, wie das Internet moderne Insitutionen in Frage stellt. Diskurse wie dieser hier können in der neu entstandenen Form des „Social Web“ geführt werden und dort kann eine statische Definition von Wissenschaft als etwas, was das ist, was an Universitäten betrieben wird, durch eine neue Logik ersetzt werden, in der ständig neu verhandelt wird, was man gerade zu Wissenschaft zählen kann und was nicht, beziehungsweise die Unterscheidung Wissenschaft/Nicht-Wissenschaft durch andere Unterscheidungen ersetzen. Ich weiß nicht, ob ich Re-Entry so etwas zu folkloristisch als Selbstreferenz verstehe, aber ich würde sagen, dass man den beispielsweise den Diskurs darüber, was Wissenschaft sei, der innerhalb und außerhalb der Wissenschaft unterschiedlich geführt wird, als ein Beispiel dafür ansehen kann.
Was mir nicht klar ist, was ich darüber hinaus Konkretes von Form und Re-Entry lernen kann, wenn ich ein Phänomen betrachte. Ich finde Twitter ja immer ein gutes Beispiel für das Neue, was da gerade in die Welt kommt. Hier finde ich auch Aspekte für eine Analyse nach dem Formkalkül: Der Dienst ist schwer gegen andere Medienangebote zu unterscheiden, schwer zu sagen, was er ist und was nicht. Er wird sehr selbstreferenziell genutzt, in dem Sinne, dass Twitter immer ein großes Thema auf Twitter war und ist. Die Gestalt von Twitter verändert sich stetig, dadurch, dass neue Nutzer, neue Nutzerkreise, neue Nutzungsmöglichkieten hinzukommen, ändert sich sein Wesen.
Aber sonst? Wie hilft mir das Formkalkül sonst noch weiter bei der konkreten Betrachtung von Twitter? Kann mir da mal jemand bei helfen? Dirk Baecker vielleicht?
Eine schöne Fußnote für diesen Text ist nämlich Folgendes: Ich hatte noch nie persönlich Kontakt zu Dirk Baecker. Ich kenne ihn als Schüler Niklas Luhmanns und habe einen entsprechend großen Respekt vor ihm als wissenschaftlicher Persönlichkeit. Ich habe schon einiges von ihm und über ihn gelesen und neulich dieses Video seines Vortrag gesehen und mich gefragt, wie ich seine Aufforderung auf mein Lieblingsbeispiel Twitter anwenden kann. Und dann, während ich an diesem Artikel über Dirk Baecker und Twitter geschrieben habe, bekam ich in sonderbarer Zufälligkeit aus dem Nichts per Twitter plötzlich einen persönlich an mich gerichteten Tweet, in dem Dirk Baecker mir ein Regal empfiehlt.
Ich weiß nicht, warum.
Es macht den Eindruck, als hätte er sich gerade neu bei Twitter angemeldet und just sein dritter Tweet überhaupt ist eine Reaktion auf meine launige Bemerkung zu Steve Jobs und unserem neuen Regal.
Alles andere bleibt für mich im Dunkeln, ich vermute einen Zufall, vielleicht aber auch eine Volte des Re-Entry, wer weiß.
»… redet über Etwas und hat damit Nicht-Etwas davon unterschieden …«
Das ist ja in gewisser Hinsicht schon ein Spezialfall.
Noch grundsätzlicher (und damit irgendwie auch näher an GSBs Bekunden, einen mathematischen und nicht etwa einen logischen Kalkül zu formulieren) redet man über Etwas und nicht über etwas Anderes. Ein Anderes, das dann freilich im Dunkeln bleibt. Die Behauptung eines Gegenteils ist gewissermaßen schon ein Manöver für fortgeschrittene Beobachter – doppelt metaphorisch gemeint–, nämlich den Beobachtungsbeobachter. Logik ist so ein Beispiel, aber halt auch nur eines von vielen. Es werden Unterscheidungen beobachtet, als Form. Form, dieses seltsame »Ding«: Eine Operation, zwei Seiten, drei Werte.
Und das Internet? Für den konkreten Fall, Herr Baecker und Twitter, bedeutet das möglicherweise, konsequenter als bisher nötig (und möglich) mit Manipulation zu rechnen. Das heisst: sie als die andere Seite der ansonsten recht geschätzten positiven Position zu begreifen, die eine zu vermeidende Arbitrarität als Kontext wiedereinführt.Es gibt meines Erachtens zahlreiche gute Gründe den erwähnten Twitter-Account nicht für Dirk Baeckers eigenen zu halten; aber eben solches Reden auf offenbar implizit mitgeführte Unterscheidungen hin zu beobachten (z.B Echtheit/Fake, Zertifiziert/Angeeignet, Dokumentiert/Arbiträr) heisst: die aus der sozialen Praxis der Netzkommunikation erwachsenden Beobachtungen als potentielle Empirie ernstzunehmen – und das wäre schon mal ein Anfang.
Aber das nur so am Rande…
P.S.
Werter Prof. Bunsen!
Ich habe mich geirrt. Es handelt sich in der Tat um Dirk Baeckers Twitter-Account (und ich hätte es doch wissen können, weil schließlich nur Profis David Simons Baltimore-Studien als »[p]räziseste Bürokratieforschung« anpreisen).
P.P.S.
Nicht geirrt immerhin bei Fußball-Prognosen.
Mein Beileid zum #Effzeh-Spiel (wäre ja auch zu schön gewesen).
Ach, der #Effzeh. Nächstes Jahr wird alles besser.
Was der Account @dirkbaecker zu bedeuten hat, habe ich mich natürlich auch gefragt. Aber wer sollte ein Interesse an einer solchen Täuschung haben? Wie dem auch sei, ich verstehe sie so, dass man alleine aus der Innenseite einer Unterscheidung Twitteracount/Nicht-Twitteraccount nicht entscheiden kann, was dieser Account ist (Täuschung, Persiflage, Gruppenaccount, Bot etc.). Und dass solche Vieldeutigkeiten zunhemen.
Und Sie wünschen „die aus der sozialen Praxis der Netzkommunikation erwachsenden Beobachtungen als potentielle Empirie ernstzunehmen“. Was bedeutet das denn für Medien und Mediennutzer?
»Was bedeutet das denn für Medien und Mediennutzer?«
Wenn wir die Beobachtung, dass solche Vieldeutigkeiten zunehmen, tatsächlich ernst nehmen (und imho haben wir gute Gründe, genau das zu tun), sind die Folgen für Medien und ihre Nutzer katastrophal. Im besten Sinne des Wortes. Nur ein Schlaglicht, weil unterwegs: Wer lernt, mit solchen Uneindeutigkeiten zu rechnen, sprich: soziale Systeme Kommunikation im Kontext latenter Arbitrarität aufrecht erhalten können, wird über bisher für Erwartungsstrukturen zentrale Begriffe wie Person, Identität, Dokument (vgl. Klaus Kusanowskys Blog) aber auch Referenz, Original, Zurechnungsfähigkeit etc. neu nachdenken müssen. Da ist wissenschaftliche Beobachtung notwendig immer eine Runde hinterher, aber kommunikative Praxen und soziale Formen als »Sonden der Unruhe« (vgl. Baecker im oben verlinkten Video) einzusetzen erlaubt experimentelle Zugänge zu solcher Beobachtung. So würde ich dann vermutlich auch die Twitter-Nummer einsortieren, aber das bleibt Spekulation.
Mist. Netz weg…
Hab mal in einem eigenen Text darauf geantwortet: http://wp.me/puNOe-7c
das ist die beste erklärung zu „re-entry“, die ich je gelesen habe. ansonsten verstehe ich nicht wirklich, was mir das bringen soll. diese art von meta-operationen schienen mir in meiner theorie-sekte (strukturalismus, foucault) eh immer schon mitgedacht zu sein.
@martinlindner Der Verweis auf Foucault in diesem Zusammemnhang scheint mir sehr nahe zu liegen. Denn die Frage lässt sich sehr ernsthaft stellen, wie sich die eigenlogische und unkontrollierbare Operativität der Gesellschaft theoretisch fassen lässt. Wenn es auch zweifelhaft erscheint, dass das linguistische Konzept der Performanz von Sprache den gesellschaftlichen Verhältnissen gerecht wird, indem man es als Potenz des Individuums ansieht, so könnte man die Versuche von Foucault und Luhmann Gesellschaft zu beschreiben zusammenfassen, indem man von Kommunikation, von Aussagen in Diskursen und Systemen ausgeht, welche die Individuen überhaupt erst konstituieren. Sowohl der Systembegriff Luhmanns wie auch der Begriff des Diskurses bei Foucault gehen davon aus, dass Sprache, Aussagen, Kommunikationen eine emergente Realität darstellen, die einmal geäussert eine Wirkungsmächtigkeit entfalten, die nicht mehr auf das sprechende Subjekt zurückgeführt werden kann; und auf diese Weise eben jene Empirie erzeugen, welche von den Systemen, bzw. Diskursen abgefragt, geformt und beurteilt wird.
Interessant in diesem Zusammenhang wäre:
Stäheli, Urs: Semantik und/oder Diskurs? „Updating Luhmann mit Foucault”. 2004
Hm. Obwohl Foucault umfangreiche Untersuchungen vorgelegt hat, bleibt seine Arbeit zu Exklusion bei Systemikern nahezu unberücksichtigt. Wenn man nun innerhalb von Foucaults Arbeiten zwischen drei Mechanismen bzw. Typen von Exklusion unterschiede? Solche ließen sich theorieintern nicht nur mit verschiedenen Machtformen (Disziplinarmacht, „Gouvernementalität“ oder Souveränität) rekombinieren, mit ihnen können auch sozialhistorisch-unterscheidbare Exklusionspraktiken identifiziert werden. Besondere Bedeutung für die aktuelle Diskussion erlangt die noch weitgehend unausgearbeitete Gouvernementalitätstypus, der für Foucault und Co. mit der Formierung einer Sicherheitsgesellschaft verknüpft ist. Hier ließe sich wohl auch sinnvoll anschließen:
Krasmann, Susanne; Volkmer, Michael (Hrsg) – Michel Foucaults „Geschichte der Gouvernementalität“ in den Sozialwissenschaften. Internationale Beiträge, Bielefeld 2007.
ja, ich hab mal eine semiotische preisschrift zu „ausgrenzung“ geschrieben, vor 17 jahren. ich glaube aber nicht, dass man zur beschreibung von solchen gesellschatflichen operationen einen besonders elaborierten systemtheoretischen apparat braucht. damals habe ich mir ein recht simples basis-set aus willke und maturana zusammengestrickt. no rocket science, schien mir immer, aber bei den hardcore luhmannisten, von den spencerbrown-jüngern ganz zu schweigen, schien es mir immer eine klare tendenz zum raketendiskurs zu geben. aber vielleicht habe ich die feinheiten auch schlicht nicht kapiert.
Interessanterweise ist es ja so, dass auch der Biologe Maturana und der Mathematiker GSB sich dagegen verwehrt haben, dass ihre Ideen in einer soziologischen Raketenwissenschaft verwendet und anders als in ihrem Sinne interpretiert und verwässert werden.
Ich finde das legitim und sinnvoll – sowohl, die Ideen und Konzepte so zu verwenden, wie sie einem nützlich erscheinen als auch, sich dagegen zu verwehren, zu trivial vereinnahmt zu werden.
Ganz schlimm ist das ja z.B. mit diesem Vulgärkonstruktivismus, von dem dann nur noch übrig bleibt, dass man halt gar nix wissen kann und der kann dann auch als Begründung für jeden esoterischen Kwatsch verwendet werden, weil: Man kann ja nix wissen wegen radikalem Konstruktivismus.
Deshalb würde ich auch nicht von „Feinheiten“ sprechen, sondern sehe darin etwas sehr Grundsätzliches: Wenn man bei jeder denkbaren Information mitdenkt, dass sie als eine Unterscheidung vor einem Beobachter zu einem bestimmten Zeitpunkt aus einer bestimmten Perspektive getroffen wird (Form) und dann annimmt, dass neue Strukturen vor allem dann entstehen, wenn diese Unterscheidungsoperarationen auf sich selber angewendet werden (Re-Entry) entsteht wohl automatisch ein komplexer Raketendiskurs.
Ob man immer so grundsätzlich werden muss, ist dann vielleicht eine andere Frage. Und wenn man es tut, dann läuft man wohl immer wieder große Gefahr, die kommunikative Anschlussfähigkeit zu verlieren.
Mir scheint auch, dass das Thema Exklusion in den Sozialwissenschaften weiterhin aktuell bleibt, umso mehr, wenn Exklusion nicht als Problemfall erscheint, sondern, wie in der Internetkommunikaiton als Lösung in Aussicht gestellt wird. Denn die Internetkommunikation hat weist ja genau das Merkaml auf, dass durch Kommunikation in Organisation ständig problemtisiert und als Problem ständig erzeugt wird, dass nämlich durch Internetkommunikation Exklusion nur schwer durchsetzbar ist. Insofern stellt sich das Problemfeld Exklusion für die Internetkommunikation andersherum auf: Wie kann man Inklusion vermeiden? In dieser Hinsicht kann ich mir vorstellen, dass die Arbeiten von Michel Foucaults zu einem genaueren Verständnis von Praktiken der Ausschließung beitragen könnte, weil damit ja auch andersherum Praktiken der Einschließung enthalten sind. Oder direkt gefragt: Wie können die von Foucault entwickelten theoretischen Figuren so arrangiert werden, dass sich Impulse für eine Soziologie der Inklusionsvermeidung ergeben? Und wie muss ein solches Manöver beschaffen sein, um insbesondere eine der großen Herausforderungen der Exklusionsdebatte anzunehmen, nämlich das durch die topologische Begriffssemantik angezeigte Außen des Ausschluss als soziales Außen aufzufassen?
Exclusion heisst im Hinblick auf Kommunikation, dass nicht mehr entlang der Differenz von Information und Mitteilung beobachtet wird und dass Teilnehmer nicht mehr als Adresse für Kommunikationen in Frage kommen – es sei denn für solche, die die exclusive Sortierung befördern und ihn reproducieren. Exclusion erweist sich als ein mehrdimensionaler,
kumulativer und seriell vernetzter Vorgang des Ausschließens aus einem oder mehreren Funktionssystemen. Die sind heute ausnahmslos als globalisierte Systeme denkbar, Stichwort „Weltgesellschaft“, die regional differenziert sein können und nicht notwendig miteinander vernetzt sein müssen. Inclusion und Exclusion sind dann füreinander nicht exclusiv, sondern hierarchisch zu denken: wenn zum Beispiel ersteres für letzteres gilt. Insofern ist Herrn Kusanowsky zuzustimmen.
Ein Nachsatz: Ich empfehle ausdrücklich die Lektüre des folgenden Essays.
Sven Opitz – Eine Topologie des Außen: Foucault als Theoretiker der Inklusion/Exklusion, in: Foucaults Machtanalytik und Soziale Arbeit (2007).
http://www.mendeley.com/research/eine-topologie-des-auen-foucault-als-theoretiker-der-inklusionexklusion/
Komme leider mit dem Link nicht zurecht. Gibt es auch einen direkten Link auf das Dokument?
Nein. Nur bezahlbar (oder mit entsprechendem Bibliothekszugang gratis): http://www.springerlink.com/content/l335gxkh6g00128l/
@jacobovolpino Ich will, wenn wir gerade dabei sind, noch ein wenig beim Thema „nächtste Gesellschaft“ und „Computergesellschaft“ bleiben. Wenn man sich kulturhistorisch mit dem Ausdiffernzierungsprozess von Funktionssystemen befasst, so wird man feststellen, dass eine zunehmend voraussetzungsvolle Inklusion von immer mehr Menschen paradoxerweise dazu führte, dass sich eine stetig steigernde Exklusion bemerkbar machte, welche sich schließlich auf die Beschleunigung des Differenzierungsprozesses auswirkte. Für die Verbreitung von Literalität im Kunstsystem dürfte beispielsweise gelten, dass die ästhetische Kommunikation zwar tendenziell für alle partizipationsfähig war – und zwar unabhängig von Schichtkriterien – teilnehmen konnten aber nur diejenigen, die einerseits genug freie Zeit hatten und andererseits genug Vorwissen d.h. ausreichende Bildung mitbrachten. Von hier aus lässt sich wohl auch die frühromantische Bildungsbegeisterung verstehen. Im Effekt schränkte sich das Kunst-Publikum wiederum schichtspezifisch auf die gebildeten Oberschichten – vor allem auf die neue Schicht des Bildungsbürgertums ein. Diese Exklusivität definiert sich dann im romantischen Diskurs wieder über eine Mystifizierung der ästhetischen Kommunikation. Die Rezeption literarischer Texte – analog zum Verstehen des nun exklusiv definierten Individuums – schlug sich in Beschreibungen nieder, die das Verstehen über Intuition, Einfühlung und vor allem Anschauung als ein quasi-religiöser, mystischer Akt unter Zurückweisung jeglichen analytisch-distanzierenden Zugangs vorgestellten, womit man einen schönen Einblick bekommt, wie sich soziale Selektionprozesse auf die Literaturproduktion auswirken.
Nun nehme ich an, dass für die Verbreitung der Interkommuniktion etwas ähnliches gilt. Will man also verstehen, welche In- und Exklusionsregeln durch Internetkommunikation gegenwärtig möglich werden, wird man in dieser Hinsicht nicht klüger, wenn man auf konventionalle Textkritik verlassen möchte. Es käme wohl eher darauf an, auf unvermeidliche Paradoxien paradox zu reagieren und zu schauen, ob und wie Anschlussfindung noch gelingt. Der nächste Schritt wäre dann, wie man Inklusion vermeiden könnte, wenn die funktionale Differenzierung durch das Internet praktisch vollständig gelingt. Vollständig heißt, dass eine weitere Differenzierung nicht mehr möglich ist. In dem Fall wird dann die Frage relevant, wie man auf Inklusion reagieren muss, unter der Voraussetzung, dass mit ihr immer zu rechnen ist, wenn also Exklusion unwahrscheinlich wird.
„wie man auf Inklusion reagieren muss, unter der Voraussetzung, dass mit ihr immer zu rechnen ist, wenn also Exklusion unwahrscheinlich wird.“
horrido! die allesentscheidende frage.
und ignorieren ist keine option, weil die bloße wahrnehmung in der regel schon hinreichend affiziert, dies laesst sich ja an der sogenannten de-wesifizierenden „trollkommunikation“ so trefflich studieren. die sorge selbst macht sich inclusiv schuldig. aller exclusiven inklusivitaetsofferten von logik, ratio und ontologie zum trotze. solange ein- und ausschluss exclusiv koncipiert entschwindet das object der begierde.